Music4Medias March 16, 2013
Mit Beiträgen von Thomas Arzt (Österreich), Martin Crimp (England), Franzobel (Österreich), Barbara Grinberg (Frankreich), Robert Menasse (Österreich) (angefragt), Falk Richter (Deutschland), Robert Schindel (Österreich), Ferdinand von Schirach (Deutschland) (angefragt), Betty Shamieh (USA), Gerhild Steinbuch (Österreich), Michel Vinaver (Frankreich)
Uraufführung: 16. März 2013, Kammerspiele Landestheater Linz
Inszenierung: Gerhard Willert
Bühne und Kostüm: Alexandra Pitz
Musik: Wolfgang Dorninger
Dramaturgie: Kathrin Bieligk
Dramaturgische Mitarbeit: Thomas Arzt
Wissenschaftliche Unterstützung: Regina Thumser-Wöhs
Produktionsbegleitung: Institut für Medien/Zeitbasierte und interaktive Medien der Kunstuniversität Linz
Im April 2013 wird in Linz das neue Musiktheater eröffnet – an einem neuralgischen Erinnerungsort der österreichischen Geschichte. 75 Jahre nach dem sogenannten „Anschluss“, der den Beginn der NS-Herrschaft in Österreich 1938 markiert, überlappen sich an dieser Stelle Vergangenheit und Gegenwart.
Adolf Hitler hatte in den Plänen zur „Patenstadt Linz“ eben denselben Ort an der Linzer Blumau für einen Opernplatz vorgesehen, an dem ein „Führermuseum“, eine Bibliothek, ein Konzerthaus, ein Operettentheater wie auch ein Opernhaus für rund 2000 Personen erbaut werden sollten. Daran anschließend war eine Prachtstraße geplant, flankiert von Arkadengängen, einem Schauspielhaus, einem Varieté, Theaterrestaurants, Cafés sowie einem naturwissenschaftlichen und einem volkskundlichen Museum. Das Totalitäre dieser Architektur kann mit historischer Distanz betrachtet werden, zumal es zu keiner derartigen Umsetzung kam. Die Ideologie dahinter fordert aber neuerlich zu einer notwendigen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit auf – insbesondere in Erinnerung an den 12. März 1938, an dem der „Führer“ unter Jubel in Linz empfangen wurde.
Das Linzer Landestheater hat daher zehn Autorinnen und Autoren beauftragt, über Linz als Ort des „Anschlusses“ zu schreiben. Unter dem Titel „Land der Lämmer“ entsteht ein vielschichtiges Feld von Texten, das in seiner fragmentarischen Form kein eindeutiges Narrativ festschreibt, sondern die Brüchigkeit und Fragwürdigkeit von Geschichte(n) per se offenlegt. Wie in einem Kaleidoskop fixieren die Autorinnen und Autoren unterschiedliche Brennpunkte des historischen Ereignisses, das als Geschichtsspur prekär bis in die Gegenwart führt. Denn gerade hinsichtlich des politischen Verhaltens in Österreich während der Tage des „Anschlusses“ stellen sich Fragen von erschreckender Aktualität. Keine Geschichtsstunde soll somit gegeben werden, sondern eine Reflexion der eigenen Gegenwart, festgefahrener ideologischer Haltungen, euphemistischer Rhetoriken und rechtsradikaler Tendenzen.
Neben dem Theaterabend „Land der Lämmer“ werden im Umfeld der Premierentage weitere Veranstaltungen in Linz stattfinden, die den kalaidoskopartigen Blickwinkel historisch und gesellschaftspolitisch schärfen. So lädt der „Kepler Salon“ zu zwei „Märzgesprächen“ ein, die sich dem Narrativ des „Anschlusses“ sowie den Themen Neonazismus und Rechtsradikalismus in Österreich widmen. Und in Zusammenarbeit mit dem Institut für Zeitgeschichte der Johannes Kepler Universität findet am Landestheater eine Tagung statt, die sich mit Theater-, Musik-, Operetten- und Kabarettgeschichte während der NS-Zeit auseinandersetzt.
Auf wortwörtlich reflexive Weise unternimmt das Landestheater mit diesen Projekten eine kritische Verortung des eigenen „geschichtlichen Bodens“ – war es doch selbst historischer Schauplatz nationalsozialistischer Kulturpolitik. Umso vehementer soll Theater hier zum Ort dezidierter Erinnerungsarbeit werden, an dem vermeintlich „vergangene“ Geschichte, neu ins öffentliche Bewusstsein rückt.
Spuren des Nationalsozialismus in Österreich von 1938 bis heute
„Anschluss“. Ein Wort, das aus der Sprache gefallen ist. Das sich nur mehr aussprechen lässt, um es selbst als Problemwort auszustellen. Zwischen Anführungszeichen. Kein problemloses Aussprechen, gerade dort, wo es eine Harmlosigkeit vortäuscht. Die Sprache hat ihre Geschichte. Wie lässt sich also darüber sprechen? Heute. Über „den Anschluss“, der ja immer auch einen bestimmten Artikel verlangt. Nicht irgendein Anschluss kommt hier zur Sprache, sondern nur der eine. Ein ausschließlicher Anschluss. Aber was wird hier in diesem Anschlusssprechen angeschlossen? Und was wird ausgeschlossen? Und wer schließt hier überhaupt etwas an? Denn das Verb des Anschließens hält offen, ob es aktiv oder passiv verwendet werden will. Also, um es genauer zu fragen: Schließt man selbst an, oder wird man angeschlossen? Hier stellt sich die Gretchenfrage der österreichischen Republiksgeschichte. Jene nach dem Opfer, das ja auch nicht irgendein Opfer ist, sondern das „erste“. Eine numerische Vorrangstellung gegenüber anderen Geschichtsopfern. Ein Opferstatus, der hier auf dem Spiel steht. Aber die Opferung wirft Fragen auf, bis in die Gegenwart. Denn wie schreibt sich die Rhetorik der Opferung in die österreichische Sprache ein? Eine Opfersprache seither? Ein Sprachopfer der Aufarbeitungsverweigerung? Oder des Überdrusses? Ja, ein Satz, der allzu oft in den aufarbeitenden Mund genommen wurde! Denn wie viel Aufarbeitung verlangt eine Vergangenheit? Nun, eine Vergangenheit kann gar nichts verlangen, sofern sie vergangen ist, also ist es eine Gegenwartsbewältigung, dieses Geschichtsbefragen. So blicke ich darauf, auf die Dokumente des Vergangenen, um heute zu verstehen: Kein Opfer hier, in den Bildern der Landstraße 1938, den Bildern eines Feldzuges voller Jubel und Blumen. Ein Blumenfeldzug! Wessen Stimme wird hier erhoben, zu einem Ja? Kann es ein Nein gegeben haben, in dieser Sprache der Zustimmung? Kann man sich eine derartig bestimmende Aussage aufzwingen? Eine widerstandslose Aufopferung, oder der Widerstand nur ausgeblendet? Fotografisch. Und historisch. Den Widerstand innerlich erschlagen. Ermordet. Gelöscht. Eine erloschene Stimmung, die mich nur mehr anschweigt, in meiner Gegenwart. Kein Klang in dieser Anschlussstimmung. Nur ein Anschlussschweigen. Wenn ich heute da stehe, in diesem Linz, dann erinnert nur wenig daran, an diesen „Anschluss“. Und doch verlaufen die Straßen, die Brücken auf dem Grundriss historischer Tage. Die ja keine Tage waren, sondern Jahrzehnte des Glaubens an Autorität, Diktatur und Faschismus. Auf dem nationalsozialistischen Reißbrett entworfen, dieses „Neue Linz“... Nun rückt auch dieses Linz zwischen diese problematischen Anführungszeichen. Was kann ich nun also hier sagen? Auf den Grundrissen der Geschichte. (Thomas Arzt)
Fotos, Text und Information: Landestheater Linz
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