Music4Medias May 6, 2000
DarstellerInnen: SIE Kristina Brons, ER Sebastian Hölz
Regie: Alexander Leiffheidt
Ausstattung und Videokunst: Rachel de Boer
Musik: Wolfgang Dorninger
Iris Mayr: Assistant Manager
Eine Koproduktion von Landestheater Linz und Ars Electronica Center Linz
Premiere: 6. Mai 2000
A CD of the soundtrack has been released by base [records] - sold out.
Zwei Menschen in einem Raum. Ihre Sehnsucht, ihre Abgründe, ihre Spiele, ihre Geheimnisse. Und die ganze Welt sieht zu. SIE ist Videokünstlerin - ER ist DJ. Ihr neuestes gemeinsames Projekt: Das eigene Leben. Die Kunsthalle wird zur Privatwohnung, der Innen- zum Außenraum. Kochen, Streiten, Sex und Lebensphilosophie: Nichts, was der Linse, dem Mikrofon oder dem Auge des Kunsthallenbesuchers verborgen bliebe. Vor laufender Webkamera wird jedes Detail performt und vermarktet - das Ich als Showstar.
Ungeahnte Freiheiten öffnen sich unter dem schnellen Spiel der permanenten Selbstpräsentation: Wie in einem Multi-User-Dungeon schlüpfen ER und SIE in immer neue Rollen, entgleiten zwischen allen Selbstentwürfen elegant den unzähligen Augen, die auf sie gerichtet sind. Eine neue Form der Privatheit? Aber wenn alles zur Performance wird, wo bleibt dann das Leben? Wie läßt sich ein Kontakt herstellen, der nicht zu einer weiteren künstlichen Oberfläche führt? Was passiert, wenn die zahllosen Abbilder des Selbst ein Eigenleben entwickeln, wenn das Ich sich in der Aufsplitterung zwischen ihnen allmählich verliert?
Im Spannungsfeld zwischen Souveränität und Ausgeliefertheit entsteht eine Beziehung des Users zur "Maschine", in der der alte Antagonismus von Freiheit und Entfremdung aufgehoben ist. Die Grenzen zwischen Realität und Simulation beginnen zu fließen - daraus entstehen Szenen, die irritieren, weil sie mit Handlungserwartungen brechen. Vertrautes zeigt sich in der Fremdheit der Figuren, wenn die Tarnvorrichtungen versagen und sich in den bunten Bildern Risse öffnen: SIE und ER zwischen Sehnsucht und Angst, Gier und Gelassenheit, im Inferno der Selbst-Performance.
"GOTT IST EIN DJ" ist eine Koproduktion des Landestheaters Linz und des Ars Electronica Centers - ein Projekt der wechselseitigen Grenzüberschreitung, des Aufeinandertreffens von Theater und elektronischer Kunst. Theater mit, nicht über neue Medien, Theater in einer Welt der neuen Medien lautet daher das Ziel. Die Suche nach Möglichkeiten und Bedingungen eines "e-theatre" analog zu Entwicklungen wie "e-commerce" und Telepräsenz ist ein wichtiges Element des Gesamtprojekts. Webcams, die man auf die Bühne richtet, wie dies mancherorts bereits geschieht, sind mit Sicherheit für sich allein genommen keine überzeugende Antwort. Stattdessen soll versucht werden, die bidirektionale Kommunikation des Theaters mit der bidirektionalen Kommunikation via Internet zu koppeln. In der eigenen Homepage bietet sich uns eine Plattform, auf der die digitale Protuberanz der Stückrealität in den Cyberraum bereits vor der Premiere etabliert werden kann. Auch zwischen den Vorstellungen stehen ER und SIE hier als Hosts in ihrem eigenen Chatroom zur Verfügung, präsentieren sich und ihre Sponsoren, interagieren mit Besuchern. Rollenspielstrukturen wie Chatrooms, MUDs und VR-Plattformen gibt es im Internet schon beinahe seit seiner Gründung - hier einzutauchen und Kompatibilität zu Theaterparametern herzustellen, das ist ein Gebiet, auf dem "GOTT IST EIN DJ" in Linz Pionierarbeit leisten will.
Die Maschine: das ist der Raum selbst. Videokameras auf Akteure und Zuschauer, Controlpanels, PCs, Lichtröhren, DJ-Set, Videomatrix und Beamer sind nur ihre Auswüchse. Die Maschinerie liegt dazwischen, ist die raumfüllende Vernetzung aller Elemente. Ubiquitious Computing - alles ist verbunden. Die Raumkonzeption greift das System der Ausgesetztheit und Souveränität der Figuren, der fließenden Grenzen zwischen Simulation und Wirklichkeit vielfältig auf und verläßt dabei bewußt die Abgeschlossenheit des herkömmlichen Theaterraums. Hypernaturalismus, das bedeutet in diesem Zusammenhang: Nicht detailgetreuer Nachbau, sondern Integration der Realität zwecks Verdichtung.
Das SKY MEDIA LOFT im obersten Stockwerk des ARS ELECTRONICA CENTERS wird so selbst zur Arena. Hier, zwischen kalten, überdimensionalen Glasflächen, sind die Figuren jedem Blick ausgesetzt, hier bleibt zugleich auch Linz als realer Ort der Aufführung ständig präsent. Geräusche und Ereignisse der Straße fließen als chaoti- sche Störgrößen in das System der Inszenierung ein. Videobilder, von fünf Beamern unmittelbar auf Glasflächen, Zuschauer und Akteure projiziert, ergänzen, ersetzen oder verarbeiten den realen Input. So entsteht eine nur zum Teil kalkulierte Bildästhetik der multiplen Brechungen und Spiegelungen, die die Thematik des Projekts in ihrer eigenen Sprache aufgreift. Neue Medien bestimmen zunehmend unser Leben - GOTT IST EIN DJ von Falk Richter ist eines der ersten Stücke, mit denen diese Erfahrung das Theater erreicht. Die österreichische Erstaufführung in Linz will die aktuelle Thematik zur konsequenten Erweiterung der Form benutzen, will neue Synthesen zwischen theatralischen und elektronischen Ausdrucksmitteln schaffen. Theater hat die Kraft des Realen - im Zeitalter des Virtuellen kann es damit eine wichtige Rolle erreichen, wenn es gelingt, die Meta-Sprache theatralischer Darstellung um die neuen Vokabeln unserer Realität zu erweitern.
Fotos, Text und Information: Rachel de Boer, Landestheater Linz, Alexander Leiffheidt
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